“Mittendrin Mittwoch” ist eine Aktion von Elizzy, bei der ich euch mein aktuelles Buch und ein paar Zeilen daraus vorstelle. Quasi Momentaufnahmen von Büchern, in denen ich mittendrin stecke. Ach und obacht: Es wird wild. Heute schreibt Mephisztoe und es geht um nichts weniger als intelligente, digitale Hummer im Cyberspace (echt, ich könnt mich wegschmeißen, während ich das hier schreibe,… aber lest selbst).
Accelerando

In der Ferne vernimmt die Katze die kollektive Intelligenz der Hummer, ein Singen im leeren Raum, ein Lebenszeichen über große Distanzen hinweg, das von der Heimstätte der Hummer, einem Kometen, quer durchs All dringt. Unterwegs zu einer Begegnung in der Eiseskälte jenseits des Neptun, treibt der Komet still durch den Asteroidengürtel. Die Hummer singen von Entwurzelung und Alterungsprozess, von einer Intelligenz, die zu langsam arbeitet und zu schwach ist, um mit dem schrecklich schnellen Wandel mitzuhalten, der wie ein Sandstrahlgebläse über die Welt der Menschen hinweggefegt ist. (Pos. 2.428, 26%)

Na, wie klingt das für euch? Fremdartig? Seltsam? Nach Science Fiction? Wisst ihr, an diesem Buch sind gleich mehrere Dinge besonders. Fangen wir damit an, dass ich es zunächst nicht kapiert hatte und – um der Fairness genüge zu tun – ich den oben stehenden Text aus dem Grund dafür auf englisch hätte zitieren sollen. Ich habe Accelerando bereits vor Jahren auf einen Tipp hin begonnen. Allerdings im Original. Und als auf einmal von “Lobstern” die Rede war, die ins Internet hochgeladen wurden und versuchen dem Protagonisten Manfred Macx zu erklären, sie seien nun auf der Flucht, dachte ich, ich müsste irgendetwas überlesen haben. Hummer? Echt jetzt? Gleichzeitig strotzt das Buch nur so vor Neologismen. Und das auch noch auf englisch. Das war’s. So etwas passiert selten, aber ich habe aufgegeben.
Solange, bis ich vor kurzem einen zweiten Anlauf wagte. Diesmal auf deutsch. Und soll ich euch mal was sagen? Es werden wirklich Hummer “digitalisiert” – Neuron für Neuron – und ins Internet hochgeladen. Und Macx ist ein Anhänger der Singularitäts-Theorie. Allein diese hier zu erklären, würde sich in etwa so skurril anhören, wie die Story in Accelerando. Nur so viel: Die Idee hinter der technischen Singularität ist das Ereignis, das den Moment beschreibt, in dem eine Maschine konstruiert wird, die nicht nur schlauer ist als der Mensch sondern dazu noch in der Lage, die nächste Version zu entwickeln, die noch schlauer ist als sie selbst. Man sagt, dabei würde es sich um die letzte Erfindung der Menschheit handeln und dass sich die (technische) Evolution von da an exponentiell beschleunigen wird. Schätze, daher kommt auch der Titel des Romans von Charles Stross.
Wer sich dafür interessiert, oder einfach mal reinschnuppern möchte in ein Thema, das oberflächlich betrachtet verrückt oder nach sektentauglichem Stoff klingt, schaut sich bei Wikipedia mal nach Begriffen um wie Singularität, Posthumanismus und Transhumanismus.
Was das Buch betrifft: Es gibt nicht viele Bücher, die sich diesem Thema romanseitig nähern. Das war es, was mich an Accelerando gereizt hat. Damals wie heute. Nebenbei: Es ist bereits 2005 erschienen. Und das führt mich zu einem weiteren besonderen Punkt: In Anbetracht der Tatsache, das Wissenschaftler und Neuro-Informatiker weltweit an Technologien arbeiten, die bereits jetzt in der Lage sind, die Gehirne von Kakerlaken und Mäuse zu simulieren, und an künstlichen Intelligenzen, die in über 98% aller Fälle die Abschlusstests von Viertklässlern bestehen und somit von ihrer intellektuellen Kompetenz her gleichauf sind mit Zehnjährigen, ist das Anfangsszenario aus Accelerando gar nicht mehr so weit entfernt. Allerdings existierte 2005 das dazu passende Vokabular noch nicht – also finden sich in dem Buch allerlei skurrile Wortneuschöpfungen, die es dann und wann anstrengend zu lesen machen. Selbst auf deutsch.
Inzwischen habe ich mehr als ein Viertel gelesen und dabei festgestellt, dass es nicht nur um den neuro-informatischen Aspekt geht, sondern auch um eine Reformation der Marktwirtschaft. In Accelerando stecken wirklich extreme und in Teilen spannende Ideen. Das beginnt bei Fragen nach der Identität (rechtlich gesehen), geht über die Behandlung von Urheberrechten bis hin zur Frage, ob den digitalen Hummern Persönlichkeitsrechte zugesprochen werden sollten und sie damit den Status regulärer Bürger verpasst bekämen. Und wozu der Stunt? Nun, soweit wie ich es verstanden habe, scheint sich das Buch sogar in eine Richtung zu entwickeln, in der das Treffen auf außerirdisches Leben nicht allzu weit hergeholt zu sein scheint. Und was, wenn diese nicht als Personen anerkannt würden, nur weil sie beispielsweise bereits den Punkt einer Singularität in ihrer Entwicklung hinter sich haben und damit nicht unbedingt im klassischen Sinne biologisch leben? Dann hätten wir hier wohl ein Problem…. und das nicht nur, weil sich Schwierigkeiten bei der Frage nach Rechteinhabern hinsichtlich der Vermarktung außerirdischer Musik ergäben.
Und so kämpfe ich mich weiter durch das Buch und bemerke dabei immer wieder, dass ich einige Dinge selbst neu überdenken muss, wenn ich mit den Ideen von Charles Stross mithalten will. Oh, und habe ich erwähnt, dass Charles das Buch als Ebook in verschiedenen Formaten in Abstimmung mit seinem Publisher auf seinem Blog kostenlos als (englischen) Download anbietet?
Aber natürlich interessiert mich auch, was ihr zurzeit lest und wie es euch gefällt. Ich freue mich über eure Kommentare!

2 comments on “[Mittendrin Mittwoch] #5”

  1. Oh wow! Du hast dir da aber ein wirres und zugleich spannendes Buch ausgesucht! Es hört sich alles sehr skurril an aber doch sehr faszinierend! Viel Spass noch ♥

    • Hi Elizzy,Ja, das stimmt wohl. Ich schätze, für jemanden, der nicht zufällig – wie ich – aus der IT kommt, klingt es sogar noch merkwürdiger. Aber wenn ich eine Rezi vorwegnehmen müsste, würde ich das Buch mindestens als empfehlenswert einstufen. 🙂

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